Gehirnforschung
Woher wir wissen, wie das Gedächtnis funktioniert
Unser Gehirn speichert ein breites Repertoire an Erinnerungen und Erlerntem. Ob wir eine bestimmte Melodie wiedererkennen oder die automatisierten Bewegungsabläufe beim Fahrradfahren abrufen können – diese Vorgänge passieren in unserem Kopf unterbewusst und ganz von allein. Die Forschung versucht herauszufinden, welche Bereiche des Gehirns dabei beteiligt sind, wie und wo das Gehirn diese Informationen speichert und wie es sie wieder abruft. Heute ist die Gedächtnisforschung – oder Neurowissenschaft – schon weit gekommen: Die Wissenschaft weiß mittlerweile viel über die Funktionsweise des Gedächtnisses – bis hin zu einzelnen neurologischen Prozessen, die dabei stattfinden. Das war allerdings nicht immer so: Möglich machten dies verschiedene wissenschaftliche Methoden – durch die neuesten kann man dem Gehirn sogar direkt bei der Arbeit zuzusehen. So gelangten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Erkenntnissen rund um das Gehirn und Gedächtnis:
Auch in den Neurowissenschaften ist eine Standardmethode das Experiment. Die erste experimentelle, wissenschaftliche Untersuchung zum Gedächtnis wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Philosophen und Psychologen Hermann Ebbinghaus durchgeführt. Er gilt als Begründer der experimentellen Gedächtnispsychologie, da er als einer der Ersten das Gedächtnis in Selbstversuchen untersuchte. Ebbinghaus experimentierte mit einer Anzahl sinnloser Silben und notierte daraufhin penibel, wie viele er davon behielt. Dazu berücksichtigte er die Anzahl von Wiederholungen ebenso wie die Zeit. Ebbinghaus hatte zum ersten Mal das Kurzzeitgedächtnis getestet.1

Aber auch aus der Untersuchung von Menschen mit besonderen Gedächtnisfähigkeiten lassen sich Erkenntnisse zum Gehirn gewinnen. Diese sind daher oft ein Glücksfall für die Wissenschaft: In den 1920er-Jahren untersuchte der russische Neuropsychologe Alexander Luria beispielsweise das erstaunliche Gedächtnis des Zeitungsreporters Shereshevskii. Shereshevskii konnte sich in kürzester Zeit lange Listen von Wörtern, Zahlen und sinnlosen Silben einprägen und später fehlerfrei wiedergeben. Dies gelang Shereshevskii auf Grund seiner intensiven bildlichen Vorstellungskraft, die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als "Synästhesie" bezeichnen. Denn die Wörter lösten bei ihm visuelle Eindrücke aus. Dafür platzierte er jedes Bild gedanklich auf einer vertrauten Straße. Wollte er sich erinnern, lief er im Geiste die Straße entlang.1

Genauso können auch Erkrankungen des Gehirns zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen. Als 1953 bei dem Epileptiker Henry Gustav Molaison operativ Teile des Hippocampus entfernt wurden, linderte der Eingriff zwar die Anfälle, aber Molaison konnte fortan keine Ereignisse im Langzeitgedächtnis mehr abspeichern.2 Für die Wissenschaft lieferte der Fall Henry Molaison so den Beweis, dass der Hippocampus für das Gedächtnis von neuen Episoden notwendig ist.1 Heute braucht es glücklicherweise nicht mehr extreme Fälle wie diesen, um das Gehirn besser zu verstehen. Dank Fortschritten in bildgebenden Methoden, wie der Magnetresonanztomographie (MRT) oder Elektroenzephalographie (EEG) kann die Wissenschaft das Gehirn heute direkt bei der Arbeit in Echtzeit beobachten.

Noch nicht genug von der Wissenschaft?
Lesen Sie hier auch, welche Erkenntnisse der Gedächtnisforschung Ihnen in Ihrem Alltag helfen können, zum Beispiel beim besseren Einprägen von Texten.
Quellen:
1 www.planet-wissen.de/natur/forschung/gedaechtnis/pwiemeilensteinedergedaechtnisforschung100.html, abgerufen am: 27.01.2022
2 www.spektrum.de/magazin/hirnforschung-der-schwindende-wortschatz-des-patienten-h-m/1316436, abgerufen am: 27.01.2022