Ein Tag mit einem Gedächtnistrainer
Beim Gedächtnistraining
Rita Meyer (63) betritt den Vortragssaal, um einem Gedächtnistraining beizuwohnen. Wie so viele ältere Menschen legt sie Wert auf ihre geistige Fitness. Der Referent kommt auf sie zu, schaut auf ihr Namensschild und gibt ihr die Hand: „Willkommen zum Vortrag, Frau Meyer. Bitte suchen Sie sich einen Platz, es geht gleich los.“ Rita freut sich über die namentliche Begrüßung. Sie sucht sich einen Stuhl in der ersten Reihe und schaut sich um: Außer ihr gibt es so an die 20 weitere Teilnehmer. Gleich nach der Begrüßung möchte der Redner wissen, welche Probleme mit dem Gedächtnis die Teilnehmer haben. Rita lauscht, was die anderen erzählen. Vom vergessenen Hochzeitstag bis zum Auto, das man im Parkhaus nicht mehr findet, ist alles dabei. „Da bin ich ja in guter Gesellschaft“, denkt sie.
„Bis zu den Gedächtnisweltmeisterschaften möchte ich fit sein, scherzt der Referent. „Ich bin gerade beim Training der Disziplin Namen und Gesichter. Wetten, dass ich mir all ihre Namen seit der Begrüßung gemerkt habe?“ Ein Raunen geht durch die Reihen, wer kann sich schon über 20 verschiedene Namen merken. Der Referent bittet alle Teilnehmer, aufzustehen. „Diejenigen, die ich beim Namen nenne, können sich wieder setzen und wir schauen, wer am Ende stehen bleibt.“ Niemand bleibt sehen, stellt Rita Meyer fest. „Der Weltrekord liegt bei über 200 gemerkten Namen. Aber Namen und Zahlen kann man sich eigentlich nur solange merken, bis man danach gefragt wird“, lächelt der Trainier. „Mein Tipp: Es hilft, den Namen im Geiste nochmal leise auszusprechen. Und sich gleich am Anfang ein Bild mit dem Namen zu verknüpfen. Bei Personen, die Müller oder Fischer heißen, ist das besonders einfach.“
„Ich meine, ein schlechtes Gedächtnis für Namen kommt mit dem Alter“, sagt eine Teilnehmerin. „Richtig, mit dem Älter werden ändert sich unser Gehirn“, bestätigt der Gedächtnis-Experte. „Aber dass wir mit dem Alter abbauen, kann auch daran liegen, dass wir uns unterfordern oder von außen nicht mehr gefordert sind. Falsch ist sicher, sich einzureden es geht ja sowieso bergab.
Da gibt es noch ganz viel, was man machen kann: Sich gesund ernähren zum Beispiel. Oder man braucht nur ein klein wenig recherchieren, dann kommt man auf zahllose Übungen, wie man das Gedächtnis trainiert. Das wichtigste ist aber, unter Leute zu gehen: Wenn wir in geselliger Runde sind, trainiert alleine schon die Tatsache, dass wir uns kurz merken müssen, was die Anderen erzählen unser Kurzzeitgedächtnis. Nur dadurch, dass wir unseren Gesprächspartnern zuhören, können wir ihnen vernünftige Antworten geben.“
Auch Sport ist wichtig, erfährt Rita Meyer: „Wenn man sich bewegt, aktiviert man Orts- und Zeitzellen im Gehirn. Das gesamte biografische Gedächtnis geht nur über Ort und Zeit. Und deshalb ist Bewegung so wahnsinnig wichtig. Bewegung ist das A und O für das Gehirn überhaupt.“ – „Interessant. Und wie kann ich mir Dinge ganz besonders gut merken“, fragt Rita Meyer. „Ein Trick, wenn man sich Dinge besonders gut verinnerlichen möchte, ist es, sich das was man lernen will, unters Kopfkissen zu legen. Also direkt vor dem Schlafengehen lesen und dann gleich ins Bett gehen. Das wird in der Nacht besonders gut gefestigt. Man kann sich das Gedächtnis so vorstellen, wie mit der Verdauung der Nahrung: Was man tagsüber in der Zeitung oder im Radio aufnimmt, wird zwischengespeichert, um es später zu verdauen. Wenn ich etwas esse, dann ist es zunächst im Magen, erst später wird es an den Darm geliefert. Wenn ich Informationen aufnehme, wird das zunächst im Hippocampus verdaut. Das ist eine ganz bestimmte Hirnregion. Über Nacht werden die Informationen wieder hervorgeholt und der Großhirnrinde präsentiert – und zwar so lange, bis das Großhirn feststellt „ja, das ist wichtig, das merke ich mir“.
Als Rita Meyer nach Haus geht, denkt sie noch einmal ganz begeistert über das Gehörte nach. Eigentlich ist das mit dem Gedächtnis ja ganz einfach: Man ernährt sich gesund, man bewegt sich, geht unter Leute, schläft ausreichend und man macht sich ein paar Kniffe zunutze, wie man sich Dinge, die man sonst häufig vergisst, noch besser einprägt. Um sich das zu merken, macht sie einen Knoten in ihr Taschentuch. Ob’s klappt?